Bando di gara per l’affidamento del servizio di cassa dell’Istituto Italiano di Studi Germanici
22 Dicembre 2014
Bando 4
23 Gennaio 2015
Karl Hillebrand

A cura di Anna Maria Voci

Ein deutscher Weltbürger

Das Buch ist eine intellektuelle Biographie des bedeutenden und in seinen Tagen berühmten deutschen Essayisten, Historikers, Kulturvermittlers und Literatur- und Kulturkritikers, Karl Hillebrand. Er wurde in Deutsch-land geboren, wo er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte. 1849 emigrierte er nach Frankreich, wo er bis 1870 lebte. 1870 ließ er sich schließlich in Italien nieder, in Florenz, wo er bis zu seinem Tode blieb. Das Oeuvre des Essayisten und Literaturkritikers wurde bereits untersucht. Seine Bedeutung als Historiker ist oft verkannt worden. Als Kulturkritiker wird Hillebrand oft zusammen mit Nietzsche und Burckhardt erwähnt, wobei Hillebrand aber weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dieses Buch versucht, diese Lücken zu füllen. Karl Hillebrand war ein bedeutender geistiger und politischer Vermittler zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und England. Wenngleich seine Rolle als Kulturvermittler bereits auf Interesse gestoßen ist, ist seine Rolle als politischer Vermittler, insbesondere zwischen Italien und Deutschland, eher Obersehen worden. Auf Grund neuer Quellen versucht das Buch, diesen Aspekt seines Wirkens naher zu beleuchten. In diesem Buch wird der Akzent nicht nur auf die europäische Dimension von Hillebrands Charakter und geistiger Welt gelegt, die ihm so eigentümlich war und die gerade heute so zeitgemäß wirkt. Darüber hinaus wird hier versucht, mehr Licht auf die geistigen Träger seiner Bildung zu werfen, insbesondere auf den roten Faden, der sich durch seine ganze geistige Entwicklung hindurchzieht und ihr eine ganz eigene Kohärenz verleiht, nämlich auf sein ausgeprägtes “historisches Gefühl”, das sein Denken durchdringt und dessen Schlußstein es ist.

ISBN 978-88-95868-12-7

Roma 2015   pp. 696   €40

Recensioni:

  • Christian Liedtke in «Heine-Jahrbuch», 55 (2016), pp. 245-247
  • Volker Sellin in «Historische Zeitschrift», hrsg. v. Andreas Fahrmeier – Hartmut Leppin, 303, 3, Dez. 2016, s.n.
  • Christina Ujma in Norbert Otto Eke – Bernd Füllnern (hrsg. v.), Das Politische und das Politik im Vormärz, Sonderausdruck aus «Forum Vormärz Forschung», XXI (2015), pp. 291-295.
  • Michael Wettengel in «H-Soz-Kult», 7 September 2016, disponibile su http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25123
  • Lutz Klinkhammer in «QFIAB», 96 (2016), pp. 644-656.

 

Christian Liedtke

Der »Cosmopolitismus, dem unsere großen Geister, Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Jean Paul, dem alle Gebildeten in Deutschland immer gehuldigt haben«, sei das »Herrlichste und Heiligste […], was Deutschland hervorgebracht hat« (DHA VIII, 141), befand Heinrich Heine. Einer, der diesen Kosmopolitismus geradezu beispielhaft verkörpert und ihn sowohl in seiner Geisteshaltung und seinen Werken als auch in seinem tatsächlichen Lebenslauf realisiert hat, ist Karl Hillebrand, der vielseitig gebildete Historiker und brillante Essayist, der in Deutsch- land aufwuchs, in Frankreich und Italien lebte, England (woher seine Ehefrau stammte) be- reiste und in den Sprachen all dieser vier Länder schrieb und publizierte – und dabei zugleich doch immer seine deutsche Heimat im Blick (und im Herzen) behielt. Ob Heinrich Heine ahnte, dass der junge politische Flüchtling, der ihm 1849/50 als Sekretär zur Hand ging, als er am »Romanzero« arbeitete, die kulturelle Vermittlerrolle, die er selbst zwischen Deutschland und Frankreich einnahm, gewissermaßen potenzieren und zum Brückenbauer gleich zwischen mehreren europäischen Nationen werden sollte?

Der eindrucksvollen Lebensleistung Hillebrands entspricht dieses ebenso eindrucksvolle Buch, in dem Anna Maria Voci seine Bedeutung »als Historiker, Kulturhistoriker, politischer Beobachter, politischer Vermittler und Mittler zwischen den Kulturen« (S. 21) umfassend dar- stellt. Die Verfasserin ist zuvor bereits mit mehreren Einzelstudien zu Hillebrand hervorgetreten (vgl. u. a. ihren Forschungsbericht »Karl Hillebrand: vergessen, missverstanden oder unver- standen?« – In: HJb 46 [2011], S. 166–182) und hat ihm nun diese ausführliche intellektuelle Biographie gewidmet. Auf der reichhaltigen Grundlage zahlreicher Quellen, die sie zusammen- getragen hat – darunter auch eine ganze Reihe unbekannter Briefe und bisher wenig beachteter Primärtexte – zeichnet sie seine geistige Entwicklung nach und stellt seine publizistische und historiographische Arbeit ungemein kenntnisreich vor. Der Aufbau des Buches mit seinen drei Hauptkapiteln »Frankreich und die Franzosen«, »Italia« und »Das deutsche Vaterland« orientiert sich im Wesentlichen an der Chronologie von Hillebrands Leben.

Ein roter Faden, der die Lektüre besonders interessant macht, ist dabei das Nebeneinander von philosophischen und methodischen Konstanten einerseits und politisch-ideologischen Kursänderungen Hillebrands andererseits. Historismus sowie goethezeitlicher Humanismus und Kosmopolitismus sind die unverrückbaren Eckpfeiler seines Denkens. Wie Voci heraus- arbeitet, bleibt Hillebrand ihnen in allen Lebensphasen unbedingt treu. Seine politischen An- schauungen sind dagegen immer wieder starken Wandlungen unterworfen: Vom radikalen Demokraten – als solchen lernt Heine den jungen Hillebrand kennen, der am badischen Auf- stand teilgenommen hatte und 1849, nachdem er zum Tode verurteilt worden war, aus der Festung Rastatt nach Frankreich flüchten konnte – wird er mit der Zeit zum Nationalliberalen und schließlich zum patriotischen Anhänger Bismarcks. Philosophisch ist er von Hamann, Herder und Hegel ebenso geprägt wie von Schopenhauer und gehört zugleich zu den ersten, die den umstrittenen Nietzsche zu würdigen wissen. Die ideologischen Brüche, die sich daraus ergeben, thematisiert Voci allerdings kaum, ebenso wenig wie die zwangsläufige Spannung zwischen seiner historistischen Grundausrichtung und der die Geister bewegenden Frage nach dem Fortschritt in der Geschichte. Dadurch wird auch seine Haltung zu Geschichtspessimis- mus oder Fortschrittsoptimismus nicht immer recht klar. Das mag daran liegen, dass sie seine theoretischen und auch seine eher literarischen Texte bewusst ausklammert und sich stattdessen ganz auf sein umfangreiches historiographisches und publizistisches Werk konzentriert. Diese Perspektivierung, die sie mit der Forschungslage begründet, ist durchaus legitim, führt aber 246 Buchbesprechungen dazu, dass es ihrer Darstellung in diesem Punkt ein wenig an geschichtsphilosophischer Tiefen- schärfe fehlt, so fruchtbar das Buch ansonsten auch ist. Andererseits ist es allerdings auch gar nicht Vocis Anliegen, auf solche Divergenzen hinzuweisen. Im Gegenteil: Viel mehr kommt es ihr gerade darauf an, zu zeigen, dass Hillebrand nicht in Gegensätzen dachte, dass er all diese verschiedenen intellektuellen Positionen miteinander verknüpfen konnte und zwischen ihnen vermitteln wollte; in diesem Nach- und Nebeneinander sieht sie bei ihm keine Unklarheit oder Unentschiedenheit, sondern gerade eine besondere Stärke:

Sein Streben richtete sich darauf, diese verschiedenen geistigen Strömungen und Über- lieferungen zusammenzuführen, miteinander zu verbinden, zu harmonisieren, […] denn nur durch diese Verschmelzung von Altem und Neuem konnte nach seiner Überzeugung in Deutschland eine neue nationale, wahre und fruchtbare Kultur entstehen. Und in der Tat sind diese Traditionen in ihm wie verschmolzen, sie sind untrennbar. Das ist es, was von der Sekundärliteratur als Eklektizismus abgetan worden ist. Das ist es, was meiner Meinung nach seiner Originalität ausmacht. (S. 51)

Anna Maria Voci gelingt eine gute Gesamtdarstellung von Hillebrands historiographischem und publizistischem Werk. Viele treffend ausgewählte Zitate daraus sorgen für Anschaulichkeit, extensiv wird zudem die Aufnahme seiner Arbeiten bei der zeitgenössischen Kritik einbezogen, was die diskursiven Kontexte seines Schaffens erhellt. Besonders positiv hervorzuheben ist es, dass sich Voci nicht auf Hillebrands Vermittlungsarbeit »auf dem Papier« beschränkt, sondern – vor allem im Kapitel »Italia« – erstmals auch ausführlich seine ganz praktischen Beiträge zum wechselseitigen Kulturtransfer schildert: durch Anregung von Übersetzungen, Herstellung von Kontakten zu und zwischen Gelehrten und Künstlern beider Länder, durch die Organisation kultureller Veranstaltungen, aber auch auf dem Gebiet der Politik, pflegte er doch zahlreiche Kontakte zur politischen Elite Italiens. Hier kommt vor allem Vocis gründliche Auswertung der von ihr aufgefundenen brieflichen Quellen zum Tragen, mit denen sie Hillebrands weitreichende persönliche Verbindungen dokumentieren kann. Aber auch für seine letzten Lebensjahre, die er wieder in Deutschland verbrachte – die Amnestie von 1858 machte es möglich –, sind solche Briefzeugnisse aufschlussreich, etwa seine hier erstmals analysierte Korrespondenz mit Ludwig Bamberger, mit dem er auch über die Bewertung Bismarcks streitet, den Hillebrand stets be- wundert, trotz des Scheiterns seiner Versuche, mit ihm in Verbindung zu treten (vgl. S. 476 f.). Obwohl zum Konservativen gewandelt, bezieht Hillebrand im Antisemtismusstreit jener Jahre ganz entschieden Stellung gegen Treitschke und jede Form rassistisch motivierter Judenfeind- lichkeit. Diese läuft, wie Voci zeigt, seiner gesamten Gedankenwelt zuwider.

Überall in dem Buch spürt man die Sympathie der Verfasserin für ihren Gegenstand, die sie auch bei ihren Leserinnen und Lesern zu wecken versucht. Dennoch ist sie nicht unkritisch in der Bewertung mancher seiner Schriften und Ansichten. Das gilt insbesondere für die Zeit des deutschen Kaiserreichs, wo seine aus seinem tief verwurzelten Historismus gespeiste Hoffnung auf ein »gutes« Deutschland, das mit den europäischen Nachbarn in Einklang lebt und seine gewachsenen humanistischen und idealistischen Traditionen fortführt, trügerisch und reali- tätsfern wirkt: »Hillebrand erwies sich als unfähig, das Maß der nach 1871 in Deutschland einsetzenden Trennung des Staates von der gesellschaftlichen und kulturellen Dynamik richtig einzuschätzen.« (S. 573)

Wer sich auf die Lektüre dieses umfangreichen, fundierten und ansprechend geschriebenen Buches einlässt, der lernt eine Nebenfigur aus der Biographie Heinrich Heines als Hauptfigur humanistischen und kosmopolitischen Denkens und Handelns kennen. Und wer will, kann Buchbesprechungen 247 daraus in Zeiten wie den heutigen, wo überall in Europa, wo nicht gar in der Welt, der Trend zur nationalen Vereinzelung wieder vorherrschend geworden ist, sogar etwas Hoffnung gewinnen.

Christian Liedtke

Volker Sellin, in «Historische Zeitschrift», hrsg. v. Andreas Fahrmeier – Hartmut Leppin, 303, 3, Dez. 2016, s.n.

Die römische Historikerin Anna Maria Voci ist in den letzten Jahren wiederholt mit Arbeiten zur deutsch-italienischen Geschichte im 19. Jahrhundert hervorgetreten. Darunter befinden sich eine Monographie über ,,La Germania e Cavour“ von 2011 und eine Edition von Pasquale Villaris Briefwechsel mit deutschen Historikern von 2006. Mit ihrem neuesten Werk legt Voci die Biographie des deutschen Essayisten und Historikers Karl Hillebrand vor, der die letzten anderthalb Jahrzehnte seines Lebens in Florenz zubrachte, wo er 1884 auch verstarb. Hillebrand wurde 1829 in Gießen geboren. Sein Vater Joseph lehrte an der dortigen Universität Philosophie. Wegen seiner Teilnahme am badischen Aufstand wurde Karl Hillebrand im Revolutionsjahr 1849 auf der Festung Rastatt inhaftiert und zum Tode verurteilt. Er konnte jedoch fliehen und sich nach Straßburg durchschlagen. Die folgenden zwanzig Jahre lebte er in Frankreich. In Paris war er kurze Zeit Sekretar von Heinrich Heine, bevor er nach Bordeaux zag, wo er an der Universität studierte. Danach bekleidete er bis 1870 in Douai eine Professur für deutsche, englische und französische Literaturgeschichte. Nach dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges siedelte er nach Florenz über und lebte dort von nun an als Privatgelehrter und politischer Schriftsteller. Seine wichtigste Aufgabe sah er darin, Deutschland und Westeuropa einander näherzubringen. Zu den in dieser Absicht verfassten Werken gehören unter anderem die 1880 in London veröffentlichten ,,Six Lectures on the History of German Thought from the Seven Years’ War to Goethe’s Death“ und eine Geschichte Frankreichs unter der Julimonarchie in zwei Banden (1877/81). Bekannt wurde Hillebrand vor allem durch seine Essays. 1867 fasste er seine 1866 im Journal des Débats veröffentlichten Artikel zur preußischen und deutschen Geschichte unter dem Titel ,,La Prusse contemporaine“ in einen Band zusammen, und zwischen 1873 und 1885 erschienen unter dem Titel ,,Zeiten, Volker und Menschen“ weitere Essays in nicht weniger als sieben Bänden.

Die Literatur über Hillebrand ist eher spärlich. Verschiedentlich wurde ihm Mangel an Originalität vorgeworfen. Im Gegensatz dazu sucht Voci ihn als Schriftsteller zu interpretieren, in dem sich ganz verschiedene geistige Traditionen aus wenigstens drei europäischen Kulturkreisen miteinander verbunden haben. Durch seine ungewöhnliche Biographie war Hillebrand wie kaum ein anderer unter seinen Zeitgenossen gezwungen , sich diesen unterschiedlichen Einflüssen ausgerechnet in der Epoche des sich verschärfenden Nationalismus zu stellen. Wie Voci vermutet, ist ein Grund für die relative Vernachlässigung Hillebrands durch die Geschichtsschreibung gerade darin zu sehen, dass seine kulturelle Wirkung sich in drei Nationen entfaltet und damit zugleich zersplittert hatte, zumal seine Schriften in vier Sprachen und in mehr als zwanzig verschiedenen europäischen und nordamerikanischen Zeitschriften erschienen sind. Da er nach seiner Emigration trotz einer 1858 ergangenen Amnestie die Angebote von Professuren an den deutschen Universitäten Bonn, Gießen und München sowie am Istituto di Studi Superiori in Florenz ablehnte, konnte Hillebrand auch nicht über einen Stamm von Schülern auf die Entwicklung der Wissenschaft Einfluss gewinnen und eine Forschungstradition begründen. Unter den wenigen neueren Arbeiten über Hillebrand sind eine Monographie des Germanisten und Literaturwissenschaftlers Wolfram Mauser aus dem Jahre 1960und ein Aufsatz von Rudolf Vierhaus in der Historischen Zeitschrift aus dem Jahre 1975 hervorzuheben.

Vocis wichtigste Quellen waren außer den Schriften die zahlreichen Briefe Hillebrands. Entsprechend dem weit verzweigten Netz seiner Korrespondenz sind die Briefe beute in ganz Europa und in Nordamerika verstreut. Einige davon wurden veröffentlicht, darunter Briefe an Friedrich Nietzsche, Heinrich von Sybel, Heinrich von Treitschke, Hans von Bülow und Franz Liszt. Hillebrand war ein hochgebildeter Mann, der die kulturelle und politische Entwicklung Europas in der Epoche des Nationalismus von einem übernationalen Standpunkt aus beobachtete und reflektierte. In einem Brief an Treitschke vom 6. Dezember 1879 nannte er sich selbst einen Kosmopoliten. Sein Kosmopolitismus befähigte ihn dazu, die internationale Politik seiner Zeit weitgehend losgelöst von nationalen Vorurteilen zu analysieren. Dennoch begrüßte er die Gründung des deutschen Nationalstaats durch Preußen und verteidigte Bismarck namentlich gegenüber der englischen Öffentlichkeit.

Das auf breiter Quellengrundlage geschriebene Buch über den durch die deutsche Revolution von 1848 zum Weltbürger gewordenen Karl Hillebrand ist ein wertvoller Beitrag zur europäischen Kultur- und Politikgeschichte des 19.Jahrhunderts. Volker Sellin, Heidelberg

Volker Sellin, Heidelberg

Christina Ujma, in Norbert Otto Eke – Bernd Füllnern (hrsg. v.), Das Politische und das Politik im Vormärz, Sonderausdruck aus «Forum Vormärz Forschung», XXI (2015), pp. 291-295.

Die Historikerin Anna Maria Voci hat in vielen Arbeiten die deutsch­italienischen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht und dabei Innovatives geleistet. Die meisten Arbeiten sind allerdings in Italien und auf Italienisch herausgekommen. Nachdem sie schon verschiedene Arbeiten über den kosmopolitischen Altachtundvierziger Karl Hillebrand (1829­1884) auf Italienisch publiziert hat, ist ihre neueste Studie nun auf Deutsch erschienen. Diese ist allerdings viel mehr als eine Kompilation von Aufsätzen: Auf 700 Seiten hat sie zahlreiche unerschlossene Quellen ausgewertet und zeichnet ein detailliertes Bild von Hillebrands intellektuellem Wirken. Voci unterteilt ihre Studie systematisch anhand von Hillebrands Analysen französischer, deutscher und italienischer Politik und Geschichte. Hillebrands kulturtheoretische Arbeiten schließt sie weitgehend aus ihren Analysen aus.

Der Grund für Hillebrands Kosmopolitismus lag in der 1848er Revolution und war keinesfalls eine freiwillige Entscheidung. Nur knapp stellt Voci seine abenteuerliche Jugend dar: Der junge Hillebrand war 1848 Jura­Stu­ dent in Gießen und ein begeisterter Anhänger der Revolution. Sein Denken war von frühsozialistischen und saint­simonistischen Ideen beeinflusst. Im September 1848 floh der Zwanzigjährige wegen seiner Teilnahme an den Frankfurter Kämpfen nach Frankreich, 1849 ging er nach Baden und nahm dort am Mai­Aufstand teil. Im Juli wurde er von den Kräften der Reaktion gefangen genommen und zum Tode verurteilt. Voci schildert, wie seine Schwester ihm zur Flucht aus der Festung Rastatt verhalf und er nur knapp nach Frankreich entkam, wo er Kontakt zu Heine suchte, dessen Sekretär er bald wurde. Der kranke Dichter diktierte ihm den Romanzero, riet ihm aber dringend dazu, sich nicht mit der Exilexistenz zu begnügen, sondern eine Karriere in Frankreich zu suchen, so Voci. Er folgte diesem Rat, holte das französische Abitur nach und finanzierte sein Studium durch Sprachunterricht. Er studierte Geschichte, Literatur und Altphilologie und promoviert 1861. Er wurde bald französischer Staatsbürger und Professor für Europäische Literatur an der Uni zu Douain. Durch wissenschaftliche und feuilletonistische Publikationen war er bald fester Bestandteil des munteren französischen Geisteslebens, wie Voci schildert. In ihrem ausführlichen Forschungsbericht stellt sie fest, dass die Zeitgenossen ihn bald als wichtigen Denker und Experten für die deutsche und französische Literatur sahen. Voci fragt aber auch nach den Gründen dafür, dass er von Nachgeborenen weitgehend vergessen wurde, was sie in seiner unkonventionellen Denk­ und Lebensweise verortet. Deutschen Professoren war er weitgehend suspekt, denn er war ein Salonlöwe, ein Schöngeist, ein Spötter und scharfsinniger Kritiker. In Frankreich trat er den Beweis an, dass man als Deutscher auch mit Persönlichkeiten wie Saint Beuve, Renan, Taine und vielen anderen auf gleichberechtigter Ebene kommunizieren konnte. Im ersten Teil ihrer Studie analysiert Voci detailliert Hillebrands Kommentare und Analysen der fran­ zösischen politischen Landschaft der 1860er Jahre.

Durch seine große Liebe Jessie Taylor­Laussot kam Hillebrand auch mit Florenz und Italien in Kontakt, führt die Autorin weiter aus. Auch Hillebrands historische Doktorarbeit hat ein italienisches Thema, es geht um eine damals hoch umstrittene Florentiner Stadtchronik. Hillebrand war ein Par­ teigänger des Risorgimento und ging bei den Größen des Florentiner Geisteslebens ein und aus. Diese Kontakte sollten sich als Glücksfall erweisen, denn als 1870 der preußisch­französische Krieg ausbrach, muss Hillebrand erneut fliehen und entkommt wieder nur knapp. Er ging dann als Korrespondent der Times in die damalige italienische Hauptstadt Florenz, dann weiter nach Rom und schließlich wieder zurück nach Florenz. Frankreich blieb ihm als Thema aber länger erhalten, erläutert Voci, denn in zahlreichen Aufsätzen für deutsche und englische Journale widmet er sich Frankreich in Geschichte und Gegenwart. Diese gesammelten Essays kamen später in dem Sammelband Frankreich und die Franzosen heraus, der in einige europäische Sprachen übersetzt wurde und mehrere Auflagen erlebte. Für Voci, die einzelne Essays dieses Werkes näher vorstellt, zählt es zum Interessantesten, das Hillebrand jemals geschrieben hat. Einige Franzosen sahen das Werk jedoch als einen Angriff auf das Land, das ihn in der Not willig aufgenommen hatte, führt die Autorin an.

Der erzwungene Weggang aus Frankreich war sicher eine weitere Zäsur in seinem Leben, die jedoch durch Jessie Taylor­Laussot und die Bereitwilligkeit der Florentiner Gelehrtenwelt, den Flüchtling in ihren Kreisen willkommen zu heißen, abgemildert wurde. Ihm wurden verschiedentlich Professuren in Italien, Amerika und Deutschland angeboten: Voci führt die unterschied­ lichen Gründe an, warum er diese ablehnte. Sie meint aber auch, dass der Hauptgrund war, dass er sich in seiner Rolle als freischaffender Wissen­ schaftler und Feuilletonist recht wohl fühlte und die mit einer Professur verbundenen Lehrverpflichtungen nicht unbedingt auf sich nehmen wollte, zumal er in der ersten Zeit noch recht eingeschränkte Italienischkenntnisse hatte, die den Vorbereitungsaufwand für die Lehre sehr erhöht hätten. Wie vordem in Frankreich machte sich Hillebrand lieber daran, als Kulturvermittler zu wirken, d. h. den Deutschen seine neueste Wahlheimat zu erklären. Das neue Deutschland war für die Italiener ausgesprochen interessant, sagt Voci, was auch durch die große zeitliche Nähe zwischen deutscher und italienischer Einigung hervorgerufen wurde. Wichtige Protagonisten dieses Einigungsprozesses wohnten in der Florentiner Nachbarschaft und wurden zu Hillebrands täglichem Umgang. Das kam auch durch den Salon von Emilia Peruzzi, mit der Hillebrand sehr vertraut war. Donna Emilias Ehemann Ubaldino Peruzzi war ein führender Protagonist der nationalliberalen Strömung Destra Storica, auch Moderati genannt. Hillebrand war ein Parteigänger des Risorgimentos, bewunderte Cavour und stand damals den deutschen Nationalliberalen nah, so Voci. Politiker wie Sidney Sonnino, Intellektuelle wie Gino Capponi oder Vilfredo Pareto waren Hillebrands Gesprächspartner. Mit dem Historiker und Risorgimento­Protagonisten Pasquale Villari verband Hillebrand eine besonders enge Freundschaft. Voci analysiert das Netzwerk, in dem sich Hillebrand in Florenz befand und beschreibt seine Tätigkeit für verschiedene deutsche und italienische Zeitungen und Zeitschriften. Durch diese Kontakte hatte er Einblicke in die damalige politische Landschaft Italiens, über die kaum ein anderer Journalist seiner Zeit verfügte, sagt die Autorin.

Obwohl auch Hillebrand der Meinung war, dass das damalige Italien eines der freisten Länder Europas gewesen sei, war er zu einigen Vorsichtsmaßnahmen gezwungen, sagt Voci. Er war über seine Freundschaften quasi Teil der Florentiner Moderaten geworden, die seit der Einigung das Land beinahe ununterbrochen regiert hatten. Hillebrand stimmt in vielem mit ihnen überein und war vom Modernisierungsprozess, in dem sich Italien damals befand, durchaus angetan, andererseits fand er auch Kritikwürdiges. So publiziert er seine Einschätzungen z. B. in der „Augsburger Allgemeinen“ und anderen Blättern anonym und ließ seine Korrespondententätigkeit für die Augsburger auch nicht bekannt werden, was die Rekonstruktion dessen, was aus seiner Feder stammt, manchmal schwierig macht, sagt Voci. Der Grund dafür war, dass die Florentiner Moderati auf Kritik gelegentlich ziemlich gereizt reagierten, vor allem nachdem ihre Regierungsdominanz ab 1873 allmählich ins Wanken geriet. Die Stimmung zwischen Deutschland und Italien war damals zudem recht angespannt, was daran lag, dass die Italiener Bewunderer der demokratischen und staatlichen Traditionen Frankreichs waren und Bismarcks Deutschland eher weniger attraktiv fanden; die Deutschen pflegten dagegen wieder vermehrt ihre Italien­Klischees und Vorurteile. In dieser Situation gründete Hillebrand 1874 die Zeitschrift

„Italia“, die den Deutschen ein sachliches Bild des neuen Italien vermitteln sollte. Dabei übertrieb es die „Italia“ allerdings mit der Sachlichkeit, weshalb die Zeitschrift nach vier Jahrgängen wieder eingestellt wurde. 1877, nach­ dem seine Florentiner Freunde von der Destra Storica die Regierungsmehrheit verloren hatten, kam Hillebrands Tätigkeit als deutscher Italienkorrespondent weitgehend zum Erliegen, führt Voci an. Er band sich stattdessen vertraglich an die neu gegründete Deutsche Rundschau, für die er vor allem historische und literaturwissenschaftliche Aufsätze verfasste. Im dritten Teil ihrer Studie widmet sich Voci vor allem Hillebrands Verhältnis zu Deutschland, was sich nach der Amnestie des Jahres 1858 sehr positiv entwickelte. Er hielt sich besuchsweise häufig in Deutschland auf. Voci führt aus, dass er von seinen revolutionären Ideen schon länger Abschied genommen hatte und ähnlich wie sein enger Freund, der Politiker und Bankier Ludwig Bamberger, der gleichzeitig einer der Anführer der nationalliberalen Reichstagsfraktion war, zum Bismarck­Bewunderer wurde. Hillebrands Einschätzung des 1871 gegründeten deutschen Nationalstaates sei sehr positiv gewesen und diese positive Einschätzung versuchte Hillebrand in Aufsätzen und Artikeln einer italienischen, vor allem aber einer englischen Leserschaft näherzubringen. Hillebrand hatte beste Kontakte zu englischen Zeitungen und Zeitschriften sowie zu hochrangigen Politikern, betont Voci. Gegen den im Ausland verbreiteten Eindruck, dass die neugegründete deutsche Nation vom Militär und einer verknöcherten Adelskaste dominiert sei, betonte er in seinen Artikeln und Essays das reiche kulturelle Erbe und die literarischen und philosophischen Traditionen Deutschlands. Voci stellt im letzten Teil ihrer Studie Hillebrands deutsche Freundschaften, etwa mit Ludwig Bamberger, aber auch mit zahlreichen Deutsch­Florentinern, wie etwa Malwida von Meysenbug, Heinrich Homberger, sowie Adolf und Irene Hildebrand vor. Zudem geht es um Hillebrands Positionen in laufenden Kontroversen, wie den Streit der Nationalliberalen um Bismarcks Politik, die Kontroversen um den hochumstrittenen Nietzsche, dessen Frühwerk Hillebrand schätzt, wobei er einer der ersten etablierten Intellektuellen ist, der Nietzsche anerkennt. In seinen 1874 erschienen Zwölf Briefe eines ästhetischen Ketzers lassen sich einige Gemeinsamkeiten entdecken, meint Voci. Was Hillebrand jedoch missfiel, war Nietzsches polemische Hegelkritik, die ihm auch am Denken des ansonsten bewunderten Schopenhauer nicht behagte.

Im Antisemitismusstreit gehörte Hillebrand zu den Gegnern Treitschkes und distanzierte sich scharf. Schließlich war sein Florentiner Kreis nicht nur kosmopolitisch, sondern auch durch eine bunte Mischung von Protestanten, Katholiken, Juden und Freidenkern geprägt. Auf dem Höhepunkt des Antisemitismusstreits war er bereits schwer an Tuberkulose erkrankt. Ab 1881 war er kaum noch arbeitsfähig, was angesichts seiner Existenz als freier Autor doppelt problematisch war, sagt Voci. Mit der finanziellen Hilfe Bambergers und Jessie Laussot­Hillebrands, die er 1879 nach dem Tod ihres ersten Ehemanns endlich heiratete, konnte er durch kostspielige Behandlungen sein Leben noch um einige Jahre verlängern. Zusammen mit Jessie zog er von Kurort zu Kurort, hatte aber unglaubliche Sehnsucht nach Florenz, das dem Ruhelosen dann doch Heimat geworden war. So kehrte er nach Florenz zurück und starb dort am 19. Oktober 1884 im Kreise seiner Freunde.

Anna Maria Voci hat ein wirklich gelehrtes Buch über einen deutschen Intellektuellen geschrieben, der eher unfreiwillig zum Weltbürger wurde, aber in dieser aufgezwungenen Rolle zu brillieren wusste. Auch wenn man einige politische Positionen Hillebrands für problematisch hält, bleiben sein Esprit und Kosmopolitismus bewundernswert. Das Schöne an Vocis Buch ist, dass trotz der zahlreichen Archivmaterialien, die die Autorin ausgegraben hat, es keineswegs staubig oder trocken daher kommt, sondern flüssig und anschaulich geschrieben ist. Das einzige kleine Monitum ist, dass Voci keine Übersetzung ihrer Zitate bringt, was einige Leser irritieren wird, denn Historiker, die Englisch, Französisch und Italienisch auf wissenschaftlichem Niveau lesen können, sind heutzutage selten geworden.

Christina Ujma (Berlin/Paderborn)

Michael Wettengel, in «H-Soz-Kult», 7 September 2016

Karl Hillebrand, ein Essayist, Publizist, Historiker, Literatur- und Kulturkritiker, gehörte zu den bedeutendsten europäischen Kulturvermittlern seiner Zeit. 1829 in Gießen als Sohn des Universitätsprofessors Joseph Hillebrand geboren, wurde er wegen seiner Beteiligung am badischen Aufstand 1849 von preußischen Truppen gefangen genommen, konnte jedoch aus der Festung Rastatt nach Frankreich fliehen. In Paris war er zunächst Sekretär von Heinrich Heine und absolvierte danach ein Studium in Bordeaux und Paris, wo er an der Sorbonne promoviert wurde. 1863 wurde er Professor für ausländische Literatur in Douai im Norden Frankreichs. Obgleich er 1866 die französische Staatsbürgerschaft erworben hatte und trotz seines ausgeprägten kulturellen Kosmopolitismus blieb Hillebrand ein deutscher Patriot. Nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges verließ er Frankreich und ließ sich 1870 in Florenz nieder, wo er bis zu seinem frühen Tod 1884 als eine der zentralen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens der Stadt und als freier Schriftsteller und Publizist lebte. In politischer Hinsicht entwickelte sich der entschiedene Demokrat der Revolution von 1848/49 in Frankreich spätestens 1860 zum gemäßigten Liberalen und schließlich zum Verehrer Bismarcks. Zu Beginn der 1870er-Jahre sollte er sich schließlich als „Conservativen“ bezeichnen (S. 92), der allerdings durch seine vielen engen Verbindungen und seine eindeutigen Stellungnahmen gegen Treitschke im Antisemitismus-Streit dem liberalen Spektrum verbunden blieb.

In der Forschung wurde Hillebrand vor allem als brillanter Essayist gewürdigt, und er selbst sah den Essay als „die eigenste literarische Form unserer Zeit“ (S. 138) und als ideale Ausdrucksform für den wissenschaftlichen und literarischen Diskurs an. Der Preis, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung für deutschsprachige Essays verleiht, trägt seinen Namen. Vor allem Wolfram Mauser hat durch seine Arbeiten die erste grundlegende wissenschaftliche Untersuchung von Hillebrands Leben und Werk geleistet.[1] Die große Bedeutung der historischen Betrachtungsweise für das gesamte Werk von Hillebrand betonte bereits Rudolf Vierhaus.[2] Besonders seit den 1980er-Jahren erschienen dann eine Reihe von Beiträgen über Hillebrand, die ihn als großen europäischen Mittler und Intellektuellen in Erinnerung riefen.

Mit der vorliegenden, gewichtigen Arbeit von Voci wird nun Hillebrand auch als Historiker gewürdigt, für den nach eigenem Bekenntnis „die Geschichtsschreibung keine Wissenschaft, sondern eine Kunst“ war (S. 37). Das Buch beruht auf der umfassenden und eingehenden Auswertung der Schriften Hillebrands, auch seiner zahlreichen Beiträge in deutschen, englischen, französischen und italienischen Periodika und Zeitungen. Darüber hinaus hat die Verfasserin die zahlreichen Korrespondenzen Hillebrands in Archiven und Bibliotheken Nordamerikas und Europas recherchiert und sorgfältig ausgewertet. Sie hat dadurch zahlreiche bislang unbekannte Quellen erschlossen, die ein differenziertes Bild der Persönlichkeit Hillebrands ermöglichen. Der Aufbau des Buches folgt weitgehend seiner Biografie, behandelt dabei in drei Teilen die Auffassungen und Schriften Hillebrands zu Frankreich, zu Italien und schließlich zu Deutschland. Seine Beziehungen zu und sein Wirken in Großbritannien, von wo seine Frau Jessie stammte, werden dagegen nur am Rand thematisiert, da hierfür keine neuen Quellen ermittelt werden konnten.

Der Verfasserin gelingt es, aufgrund neuer Quellen Hillebrand in umfassender Weise als Brückenbauer zwischen den Nationen Europas und eine intellektuelle Ausnahmepersönlichkeit vorzustellen. Sie zeigt, wie er durch seine zahlreichen Schriften versuchte, den Deutschen die Gesellschaft, Kultur und Politik Frankreichs, Italiens und Großbritanniens zu erklären und das Interesse für diese Kulturen zu wecken. Zugleich wollte er in seinen fremdsprachigen Beiträgen auch bei den europäischen Nachbarstaaten Verständnis für die politische Entwicklung in Deutschland fördern und deutsche Kultur vermitteln. Doch nicht nur durch seine Publikationen, auch durch seine umfangreichen Netzwerke und durch die Förderung von Künstlern, Schriftstellern und Gelehrten, zu denen auch Friedrich Nietzsche zählte, wirkte Hillebrand als Vermittler. Die Verfasserin beschreibt, wie vor allem sein Haus in Florenz zu einem Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler wurde. Hillebrand organisierte Kulturveranstaltungen, gründete die (wenn auch kurzlebige) Zeitung „Italia“, in der italienische Themen in deutscher Sprache behandelt wurden, vermittelte Übersetzungen von italienischen und deutschen Büchern und den Erwerb von italienischen Kunstwerken durch deutsche Museen.

Erstmals werden in dieser Arbeit nicht nur die Aktivitäten Hillebrands als kultureller Vermittler in ihrer ganzen Breite gezeigt, sondern auch die wichtige Rolle, die die Politik in seinem Engagement spielte. Hillebrand wollte auch politisch wirken, und zu seinem Beziehungsgeflecht zählten daher auch Politiker. Mehrere Abschnitte des Buches behandeln daher ausführlich die politischen Verhältnisse in Italien in den 1870er und 1880er-Jahren sowie die Haltung Hillebrands dazu und seine Verbindungen zu italienischen Politikern. Hillebrand verkehrte auch in Kreisen der britischen politischen Elite, und zu dem deutschen Kronprinzenpaar, das er 1875 durch Florenz führte, bestanden ebenfalls Verbindungen. Hillebrand hätte gerne auch die deutsche Regierung beraten, doch bestand offenkundig bei dieser kein Interesse daran. So reagierte Bismarck nicht auf die mehrfachen Versuche Hillebrands, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Nach der deutschen Reichsgründung mischen sich in Hillebrands ansonsten patriotisch-optimistische Haltung zur Entwicklung in Deutschland auch besorgte Töne. So beklagte er die Überheblichkeit vieler Deutscher gegenüber romanischen Völkern und die in Deutschland verbreitete Unkenntnis der Kultur dieser Staaten. Hillebrand kritisierte die „Afterbildung“ auch der akademischen Elite und sah in dem aufkommenden Antisemitismus die „maß- und schrankenlose Entfesselung der Gemeinheit“ (S. 632).

Voci hat ein umfassendes, gründlich erarbeitetes und überaus kenntnisreiches Werk zu Hillebrand vorgelegt, dem sie mit unverkennbarer Sympathie gegenübersteht. Durch zahlreiche lange Zitate aus Schriften und Briefen Hillebrands und deren geschickte Einordnung bietet sie einen sehr guten Zugang zu seinem Denken und seinem Werk. Ihr gelingt es dabei, seine Bedeutung als politischer und kultureller Vermittler sowie als europäischer Intellektueller, Schriftsteller und Publizist von außerordentlichem Rang aufzuzeigen. Dabei werden auch die Perspektiven des europäischen Kulturaustauschs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich, für den Brückenbauer wie Hillebrand unabdingbar waren. Nachdenkenswert und diskussionswürdig ist nicht zuletzt auch in dieser Hinsicht die These, wonach der Kosmopolitismus, der für Hillebrand so kennzeichnend war, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein Auslaufmodell gewesen sei (S. 28). Kritisch anzumerken ist lediglich die Klebebindung des umfangreichen Werkes, die sich schon nach der ersten Lektüre auflöst. Es bleibt zu hoffen, dass durch die vorliegende Arbeit das Werk Hillebrands wieder größere Aufmerksamkeit erhält. Nicht nur für die Biografie Hillebrands, auch für die Geschichte der Kulturvermittlung und des kulturellen Austauschs im 19. Jahrhundert ist das Buch von Voci unverzichtbar.

Anmerkungen:
[1] Hier vor allem Wolfram Mauser, Karl Hillebrand. Leben, Werk, Wirkung, Dornbirn 1960.
[2] Rudolf Vierhaus, Zeitgeschichte und Zeitkritik im essayistischen Werk Karl Hillebrands, in «Historische Zeitschrift», 221 (1975), S. 304-325.

Michael Wettengel

Lutz Klinkhammer in «QFIAB», 96 (2016), pp. 644-656.

Wer war Karl Hillebrand? Die Charakterisierungen durch die Nachwelt fallen ebenso facettenreich aus wie seine unzähligen Artikel und Korrespondenzen, die er – ein Sprachgenie – auf Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch verfasste und im Laufe seines eher kurzen Lebens (er starb mit 55 Jahren in seiner Wahlheimat Florenz) in mehr als zwanzig europäischen und nordamerikanischen Zeitschriften veröffentlichte: ein brillanter und geistreicher Essayist, ein politisch interessierter Publizist, ein Literaturhistoriker und -kritiker, ein Vermittler zwischen den großen Kulturen des Abendlandes, ein Verfechter der Verschmelzung von klassisch-humanistischer und idealistischer Kultur. Als genuiner Historiker wird er eher selten gesehen, obwohl seine französische Dissertation über die florentinische Geschichte des 14. Jh. und seine Geschichte Frankreichs 1830-1848 ihn als solchen ausweisen. Der Gießener Professorensohn, der sich in der Revolution von 1848 engagiert hatte und in Baden zum Tod verurteilt worden war, entkam der Exekution nur durch eine spektakuläre Flucht aus dem Rastatter Kerker nach Frankreich, wo er seine englische Lebensgefährtin kennenlernte und über 20 Jahre verbrachte, als Universitätsprofessor und Bildungsreformer, bis der deutsch-französische Krieg ihn 1870 nach Italien zwang. Obwohl Heine ihn in Paris noch 1849 zu seinem Sekretar machte, sah Hillebrand seine revolutionäre Phase schon bald als Jugendsünde an und revidierte seine politischen Oberzeugungen, indem er von einer demokratischen zu einer gemäßigt liberalen Anschauung überging, die gereift war, längst bevor die Amnestie von 1858 es ihm wieder erlaubte, den Boden seines deutschen Vaterlands zu betreten, in welchem er aber nie mehr für längere Zeit leben sollte. Vielmehr nahm Hillebrand 1866 die französische Staatsangehörigkeit an, entwickelte sich aber nichtsdestotrotz zum Bewunderer Bismarcks, der mit der Zerschlagung des ,,alten Deutschland“ die ,,genialste, kühnste und folgenreichste That des 19. Jahrhunderts“ vollbracht habe. Den Liberalismus verband er mit einer konservativen Weltsicht, die vom Historismus geprägt war und die von der Annahme ausging, dass die Menschheit keines grundlegenden Fortschritts fähig sei, sondern sich nur ihre Ausdrucksmittel und -formen veränderten. In den fünfziger Jahren des 20. Jh. begann sich die akademische Welt für diesen herausragenden  Intellektuellen zu interessieren und ihn dem Vergessen zu entreißen, mit den von Julius Heyderhoff besorgten Sammlungen von Hillebrands Essays, mit der Biographie aus der Feder von Hermann Uhde-Bernays, mit den Dissertationen von Heinz Walther Klein, Hubert Morgenthaler, Leo Haupts, Elsbeth Wolffheim und Wolfram Mauser. Die Urteile iiber die Person des ungebundenen Intellektuellen, der – schon damals zunehmend unzeitgemäß – in seiner italienischen Schaffensphase nur von seiner schriftstellerischen Tätigkeit lebte, nachdem er ihm angebotene akademische Positionen ausgeschlagen hatte, klafften schon bei den Zeitgenossen auseinander. Er sei ein Feuilletonist, kein Historiker, meinte Graf Paul Yorck von Wartenburg, wahrend Wilhelm Dilthey ihn als Essayisten und zutiefst kenntnisreichen Kosmopoliten zeichnete, dem aber der Sinn für das Systematische abgehe. In Italien und Frankreich wurde er, der mehr als 30 Jahre in Frankreich und Italien verbrachte, in den 1980er Jahren als ein europäischer Haretiker bzw. als ein kosmopolitischer Emigrant gewürdigt. Dass Hillebrand gleichrangig neben Jacob Burckhardt stehe, wie Uhde-Bernays geurteilt hat, greift die Vf. nicht auf, doch sei es auch nicht gerechtfertigt, Hillebrand nur als Epigonen zu sehen und seinem außergewöhnlichem Geist die innere Kohärenz und geistige Tiefe abzusprechen. Das von Ernst Schulin und Volker Sellin sprachlich durchgesehene Buch gliedert sich in eine Einleitung, die die Fragestellung und einen Forschungsbericht enthalt sowie drei umfangreiche Hauptteile, die sich mit Hillebrands Beziehungen und seinen Analysen zu Frankreich, Italien und seinem ,,deutschen Vaterland“ beschäftigen, seinen Kontakten und seinem Netzwerk (zu seinen Freunden gehörten Ludwig Bamberger und Pasquale Villari, er korrespondierte mit Nietzsche und Carducci), wohingegen auf ein analoges Kapitel über sein Verhältnis zu England verzichtet wurde. Besonders interessant sind die neu hinzu­ gezogenen und nicht leicht aufzuspürenden Briefwechsel, vor allem der mit Ludwig Bamberger, sowie Hillebrands politische Korrespondenzen, die er von 1872 bis 1876 aus Italien für die Augsburger Allgemeine Zeitung schrieb und die ihn als bestens informierten, scharfsinnigen, ja mitunter geradezu hellseherischen Beobachter seiner Gegenwart erweisen. Die Vf. konnte für ihr Werk auf eigene Vorarbeiten zum Thema zurückgreifen. Dass das Buch, dem eine umfangreiche Bibliographie und ein Namensregister beigegeben wurde, ganz in deutscher Sprache erscheinen konnte, ist bemerkenswert und vielleicht eine späte Hommage an den Patrioten Hillebrand, dessen Ziel es war, ,,das Bild eines gegenüber Europa offenen Deutschlands zu verbreiten“ und die ,,guten Humanitätstraditionen des Vaterlandes“ sowie das Eigentümliche der deutschen Bildung, das Universelle und Kosmopolitische, zu bewahren gegen einen ,,leidenschaftlich-engherzigen Nationalgeist“. Das Denken dieses Intellektuellen von wahrhaft europäischem Format bleibt ebenso aktuell wie seine Rolle als Vermittler zwischen den Staaten. Wer seine Schriften und seine Korrespondenzpartner kennenlernen will, wird diese Monographie mit Gewinn konsultieren.

Lutz Klinkhammer

Karl Hillebrand

Ultimo aggiornamento 28 Giugno 2021 a cura di Redazione IISG