
Rassegna 18 maggio 2022
18 Maggio 2022
Das 4. «Sicit» Heft auf deutsch ist ab heute online verfügbar
19 Maggio 2022
Herausgeber: Luca Crescenzi
Koordinierung: Angelo Bolaffi, Aldo Venturelli
Umsetzung: Michela Cilenti, Elisa D’Annibale
Übersetzungen: Sabine Schild-Vitale
Redaktion: Luisa Giannandrea
Indice
- Leitartikel. Beobachter zum deutsch-italienischen Informations- und Kommunikationsstand, S. 7-10
- Russisch-ukrainischer Konflikt (Deutsche Presse), S. 11-18
- Russisch-ukrainischer Konflikt (Italienische Presse), S. 19-27
- Sanktionen (Deutsche Presse), S. 29-33
- Sanktionen (Italienische Presse), S. 35-40
- Kriegsverbrechen (Italienische Presse), S. 41-42
- Italienische Innenpolitik (Deutsche Presse), S. 43-49
- Deutsche Innenpolitik (Italienische Presse), S. 51-53
LEITARTIKEL
BEOBACHTER ZUM DEUTSCH-ITALIENISCHEN INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSSTAND
Die Rückkehr des Krieges nach Europa hat die strategischen Koordinaten erschüttert, die das Handeln der EU und der einzelnen Nationalstaaten seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahr 1957 bis zum 24. Februar dieses Jahres bestimmt hatten. Diese Zeitenwende, um die nunmehr berühmt gewordene Formulierung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in seiner Bundestagsrede zu verwenden, wird relevante kulturelle und politische Auswirkungen in den einzelnen Ländern haben. Und, was uns betrifft, auch in den deutsch-italienischen Beziehungen. Auch wenn die Presse in Deutschland wie auch in Italien, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch Mühe zu haben scheint, sich dieser Tatsache voll bewusst zu werden. Denn trotz des radikalen Epochenwechsels klingen die alten Polemiken – einerseits das stiefmütterliche und strenge Deutschland und andererseits das unzuverlässige, verschwenderische Italien – immer wieder an und verhindern, dass man erkennt, wie sehr die beiden Länder in wirtschaftlicher und struktureller Hinsicht miteinander verwoben sind. Es wird die Aufgabe künftiger Historiker sein, eine rationale Erklärung für das Paradoxon zu finden, das die deutsch-italienischen Beziehungen in den letzten dreißig Jahren, beginnend mit der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht im Jahr 1992, geprägt hat: d.h. für den Umstand, dass mit der zunehmenden Verflechtung der beiden Volkswirtschaften und der jeweiligen industriepolitischen Modelle eine echte politische und kulturelle Entfremdung zwischen den beiden Ländern, ihren jeweiligen Führungsschichten und der öffentlichen Meinung wuchs. Aber der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Welt, Europa und damit auch Italien und Deutschland gezwungen, sich von der ‘Welt von gestern’ zu verabschieden. Putins Krieg hat insbesondere Deutschland die schwere Verantwortung seiner gesamten politischen Klasse aufgezeigt, die trotz der Warnungen und der Kritik von Analysten und Wissenschaftlern die geopolitischen Folgen unterschätzt hat, welche eine präzise geo-ökonomische Entscheidung mit sich gebracht hätte: Die Entscheidung, die mindestens seit 1998 unter der Regierung von Bundeskanzler Schröder getroffen wurde – und dann in der langen Ära der Kanzlerschaft von Angela Merkel mitgetragen und weiter vorangetrieben wurde -, die wirtschaftlichen Geschicke des Modells Deutschland und seinen spektakulären Erfolg in der globalisierten Welt auf der Strategie des sogenannten Wandel durch Handel aufzubauen. Zu der von einem Großteil der westlichen Diplomatie geteilten Vorstellung, dass die Bejahung des Multilateralismus in den internationalen Beziehungen durch die Ausweitung der Handelsbeziehungen auch mit Ländern wie Russland und China, die mit autokratischen und totalitären Methoden regiert werden, nicht nur begünstigt, sondern auch zunehmend gefestigt worden wäre: Mit Putins Russland, um trotz des vehementen Widerstands der Ukraine und vieler ost- und nordeuropäischer Länder gegen den Bau von Nord Stream 2 günstige Energielieferungen zu erhalten, und mit China, dessen Markt eine Art Eldorado für deutsche Exporte war. Dieses Modell hat Deutschland, aber auch und vor allem Italien, das nicht zufällig diese Strategie sowohl wirtschaftlich als auch politisch uneingeschränkt befürwortet, zu seinem Wohlstand verholfen. Aus diesem Grund erscheinen die bösartigen Kritiken von italienischer Seite, welche an die so genannte Sparpolitik erinnert, die Deutschland Italien während der ‘Staatsschuldenkrise’ auferlegt haben soll, völlig ungerechtfertigt. Sie fordern Deutschland auf, sein Zögern zu beenden und auf die Lieferung von deutschem Gas zu verzichten. Es scheint fast so, als ob die deutschen Befürchtungen hinsichtlich der unvermeidlichen konjunkturellen Folgen einer solchen Entscheidung von der italienischen Industrie und dem verarbeitenden Gewerbe nicht vollständig geteilt würden. Ähnliches lässt sich auch über die politischen und diplomatischen Beziehungen Italiens und Deutschlands zu Russland sagen. Die Reihen der Putinversteher – der unübersetzbare Begriff ist nunmehr zu einem Klassiker im internationalen politischen Sprachgebrauch geworden – sind in Italien ebenso zahlreich und verzweigt wie in Deutschland. Mindestens so sehr wie die einer pazifistischen Interessenlosigkeit, die vergessen zu haben scheint, dass, wie der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer einmal sagte, «nie wieder Krieg» in erster Linie «nie wieder Auschwitz» bedeutete und bedeutet, wie uns die Schrecken von Butscha oder die Massengräber von Irpin hätten in Erinnerung rufen müssen. Italien und Deutschland werden daher vielleicht mehr als andere europäische Länder (man denke z.B. an Frankreichs Energieunabhängigkeit dank der nuklearen Option) ihr Wirtschaftsmodell und ihr internationales Handeln überdenken müssen, und zwar im Rahmen einer europäischen Politik, die aufgerufen ist, ihre eigene strategisch-militärische Autonomie im Rahmen einer globalen Neudefinition der Aufgaben und der Rolle des Atlantischen Bündnisses aufzubauen. Unter diesem Gesichtspunkt stellt die entschlossene Haltung Italiens, das sich offen auf die Seite der Ukraine gestellt hat, wie von Staatspräsident Mattarella erklärt, einen grundlegenden Bezugspunkt in Europa dar, während die deutsche politische Klasse buchstäblich orientierungslos und verloren scheint. Das donnernde Schweigen, das Angela Merkel, die von manchen unerwartet als mögliche Demiurgin eines Friedensabkommens gehandelt wird, in dieser dramatischen Situation beibehalten wird, ist eine Metapher für die tiefe Identitätskrise eines Deutschlands, das aus historischen und kulturellen Gründen mehr als jedes andere europäische Land überrascht und desorientiert zu sein scheint gegenüber einer Welt, die durch die russische Aggression gegen die Ukraine ‘auf den Kopf gestellt’ wurde. Ein Deutschland, das seine Rolle als ‘widerstrebender Hegemon’ aufgibt und alte Unsicherheiten und neue Bedenken offenbart, ist keine gute Nachricht für Europa. Aber die Wiederwahl von Emmanuel Macron ist es: eine Bestätigung, die nicht nur die Gefahr einer souveränistischen Implosion Europas abgewendet hat. Es könnte hingegen das Zeichen für den Beginn einer neuen Phase der europäischen Entwicklung sein. Dies ist eine Perspektive, bei der Italien unter Mario Draghi aufgefordert ist, eine wichtige Rolle zu spielen, mit dem vorrangigen Ziel, gerade aufgrund der ‘besonderen Beziehung’, die die beiden Länder seit jeher verbindet, Deutschland aus seiner derzeitigen politischen Aphasie herauszuhelfen, in dem Bewusstsein, dass das Bündnis zwischen Italien und Deutschland Europa wie bereits in der Vergangenheit geholfen hat, den Sinn seiner eigenen Aufgabe wiederzufinden.
Angelo Bolaffi