Herausgeber: Luca Crescenzi
Koordinierung: Angelo Bolaffi, Luigi Reitani, Aldo Venturelli
Umsetzung: Elisa D’Annibale, Lorenzo Mesini
LEITARTIKEL
BEOBACHTER ZUM DEUTSCH-ITALIENISCHEN INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSSTAND
Das dritte Quartal des Jahres schließt mit den Bundestagswahlen in Deutschland. ‘Historische’ Wahlen, wie man von verschiedenen Seiten hört, denn immerhin sanktionieren sie das Ende eines langen Zeitraums der Kontinuität in der politischen Führung des Landes. Das seit Langem angekündigte und vorbereitete Ende der «Ära Merkel» sorgt für Interesse und gibt – je nach Standpunkt – fast mehr in Italien als in Deutschland selbst, Anlass zu Sorge und Hoffnung. Die weitverbreitete Meinung, dass der Rückzug einer geschätzten Politikerin in Europa, die als Garant für das Gleichgewicht auf dem Kontinent gilt, zu umfangreichen und verunsichernden Veränderungen führen wird, hat eine Großzahl der Beobachter in ihren Analysen zu den jüngsten Ereignissen in Deutschland anscheinend verunsichert: Wahrscheinlich wurde nie einem scheidenden Kanzler eine dermaßen große Zahl von Profilen und Biografien gewidmet. Zu den diesjährig erschienenen Biografien, auch wenn durchaus nicht vollständig, zählen: Massimo Nava, Angela Merkel. La donna che ha cambiato la storia (Rizzoli); Tonia Mastrobuoni, L’inattesa. Angela Merkel. Una biografia politica (Mondadori); Daniel Mosseri, Angela e demoni. La fine dell’era Merkel e le sfide della Germania di domani (Paesi Edizioni); Paolo Valentino, L’età di Merkel (Marsilio); Alessandro Politi – Letizia Tortello, Goodbye, Merkel. Perché per sedici anni ha comandato lei (Edizioni del capricorno); Sergio und Beda Romano, Merkel. La cancelliera e i suoi tempi (Longanesi); Il cielo sopra Angela. Come Berlino si prepara al post-Merkel (Formiche 2021, Hf. 171). Bemerkenswert ist der Umstand, dass alle Beobachter der deutschen Situation bei den großen italienischen Tageszeitungen Schlussfolgerungen aus ihren langjährigen Erfahrungen ziehen, wie dies auch viele der großen Verlagshäuser tun: Es könnte keinen besseren Beweis für das Interesse geben, mit dem Italien nach Deutschland blickt. Hinzu kommt, dass die vielen Buchveröffentlichungen eine unermessliche Anzahl von Rezensionen hervorgerufen haben und dass diese oftmals eine Gelegenheit boten, Überlegungen zu den jüngsten Entwicklungen in Deutschland anzustellen. Es kann somit geschlussfolgert werden, dass das Interesse an Deutschland und seiner Politik in Italien ansteigt. So verwundert es nicht, dass die herannahenden Wahlen im September eine beispiellose Anzahl von Beiträgen hervorgerufen haben und deren Ausgang – noch nicht endgültig im Moment des Redaktionsschlusses dieser Ausgabe des «Osservatorio» – eine ungewöhnlich starke Reaktion in den Redaktionen der großen Tageszeitungen ausgelöst hat. Diese Signale deuten auf ein verbreitetes Bewusstsein hin, dass die Zukunft Europas und auch Italiens auf vielfältige Weise mit der Entwicklung Deutschlands verbunden ist. Dieses Bewusstsein – das noch vor Kurzem von Zweifeln und Ängsten begleitet gewesen wäre, welche vor allem auf einem kritischen Verhalten einiger nordeuropäischer Länder gegenüber der wirtschaftlichen und institutionellen Situation in Italien basiert – scheint nunmehr auch von positiven Erwartungen durchdrungen zu sein. In den kommenden Monaten wird der «Osservatorio» über die Reaktionen seitens der italienischen Presse zu den Entwicklungen in der deutschen Politik berichten.
In der Zwischenzeit sei darauf hingewiesen, dass, auch in Deutschland, eine neue und anders geartete Aufmerksamkeit gegenüber der italienischen Situation entstanden ist.
Das ist sicherlich, wie im Weiteren ausgeführt wird, dem Handeln der Regierung unter Mario Draghi und dem internationalen Ansehen, welches er in relativ kurzer Zeit errungen hat, geschuldet.
Die unbestrittenen Erfolge der Impfkampagne gegen Covid-19 (siehe untenstehende Zusammenfassung) werden von den deutschen Beobachtern oft als ein Zeichen für einen klaren ‘Kurswechsel’ Italiens wahrgenommen, das in der Krise mutige und wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen musste und konnte, soweit, dass es in Europa als Vorbild für einige eindämmende Maßnahmen geworden ist. Das, was symbolisch durch diese Strategien dargestellt wird, scheint die wirtschaftliche Leistung des Landes zu bestätigen: Der Ausschwung weist Spuren einer vielleicht unerwarteten Beschleunigung, die allerdings nahelegt, dass Italien auf dem Weg ist, sich schrittweise aus seiner langjährigen Krise hinauszubewegen. Befürchtungen gehen dahin, dass ein eventueller Regierungswechsel, noch vor Ende der Legislaturperiode, das Land erneut in eine Situation brächten, die wirtschaftliche Besorgnis im Norden auslösen könnte. Es ist in jedem Fall bedeutsam, dass die Stimmen der deutschen Presse, die traditionell Italien kritisch gegenüberstehen, in dieser Phase in der Minderzahl im Vergleich zu den Stimmen sind, die dem Land zumindest die Möglichkeit zugestehen, seine in Zweifel gezogene Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen.
Luca Crescenzi
Ultimo aggiornamento 29 Marzo 2023 a cura di Ilaria Baldini